Chronischen Schmerzen

Einleitung

Rund 7,5 Millionen Menschen leiden hierzulande unter chronischen Schmerzen. Für die Betroffenen ist dies oft eine große seelische Belastung. Pro Jahr kennen mehr als 3000 Menschen nur noch einen Ausweg: Selbstmord. Fast immer aber könnten die Schmerzen durch eine geeignete Therapie beseitigt oder zumindest erträglich gemacht werden. Mit dem vorliegenden Beitrag wollen wir Ängste abbauen und Vorurteile entkräften, die häufig zu einer unzureichenden Behandlung chronischer Schmerzen führen. Auf Grund von weit verbreiteten Vorurteilen - leider auch immer noch bei zahlreichen ärztlichen Kollegen - werden geeignete Schmerzmittel, wie z.B. Opioide oftmals nicht oder nicht ausreichend verordnet aber auch zuweilen nicht regelmäßig eingenommen. Ein Grund für diese Vorurteile oder Angst ist sicher, daß hierzulande selbst sogenannte retardierte Opioidanalgetika, die das Schmerzmittel nur langsam abgeben und deshalb keinen Rauschzustand verursachen, der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtmVV) unterliegen und so - völlig unberechtigt - mit verbotenen Rauschmitteln und Drogen gleichgesetzt oder mit einer Suchtproblematik in Verbindung gebracht werden. Wir wollen Ihnen erläutern, wie Schmerzen entstehen oder wann diese einen Sinn machen. Außerdem stellen wir Ihnen die wichtigsten Behandlungsmöglichkeiten bei chronischen Schmerzerkrankungen vor.

Sind Schmerzen sinnvoll?

Schmerzen sind zunächst einmal eine sinnvolle Einrichtung unseres Organismus. Als Symptom haben Schmerzen eine wichtige Warn- und Schutzfunktion, die anzeigt, daß etwas in dem Organismus nicht in Ordnung ist. Der Körper reagiert darauf und versucht, durch Gegenmaßnahmen Schaden abzuwenden. Schmerzauslöser können zum einen äußere Faktoren wie Kälte, Hitze oder Verletzungen zum anderen aber auch innere Vorgänge wie Reizungen, Entzündungen etc. sein. Fast überall im Körper befinden sich sogenannte Schmerzrezeptoren. Das sind Nervenendigungen, die Meldungen über Gewebeschäden aufnehmen können. Diese Schmerzsensoren liegen zu etwa 90 Prozent in der Haut, aber auch innere Organe verfügen darüber. Sie sind unterschiedlich empfindlich und reagieren auf verschiedene Reize (z.B. Temperatur, Dehnung, Druck).

Wie werden Schmerzen wahrgenommen?

Die Schmerzreize werden vom Ort der Entstehung durch spezielle Nervenfasern ins Rückenmark geleitet. Dort wird ein Abwehrreflex ausgelöst. So zieht man schnell die Hand zurück, wenn sie zu nahe an eine heiße Flamme kommt. Vom Rückenmark aus gelangen die Informationen über unterschiedliche Schmerzbahnen weiter zu verschiedenen Regionen im Gehirn. Im Hirnstamm löst das Schmerzsignal beispielsweise körperliche unwillkürliche (vegetative) Reaktionen wie Schweißausbruch oder Herzklopfen aus. Die eigentliche Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung erfolgt im Großhirn. In der sogenannten Thalamus-Region bekommt der Schmerz seine gefühlsmäßige Bedeutung. In den Gebieten der Hirnrinde wird das Schmerzgeschehen unter Verwendung bisheriger Erfahrungen schließlich bewertet. Wenn Schmerzsignale sich aber ständig wiederholen, können sich die Nervenzellen dauerhaft verändern und bilden gleichsam ein Schmerzgedächtnis aus. Die Folge ist, daß Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet werden, obwohl die ursprüngliche Ursache gar nicht mehr vorliegt. Um diesen Prozeß aufzuhalten, müssen die Schmerzimpulse frühzeitig durch eine geeignete Schmerzbehandlung unterdrückt werden. Andernfalls verliert der Schmerz seinen Sinn als Warnsignal des Körpers, und es besteht die Gefahr, daß er chronisch wird.

Schmerz ist nicht gleich Schmerz

Das Schmerzempfinden kann von Mensch zu Mensch stark schwanken und durch die Psyche beeinflußt werden. Wer unter Ängsten - auch vor dem erneuten Auftreten von Schmerzen - leidet oder sich stark belastet fühlt, wird sich weniger gut entspannen können. Dies führt wiederum zu einer Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit. Auf diese Weise kann ein Teufelskreis entstehen, in dem sich Schmerz und Streß gegenseitig verstärken. Eine gute Stimmungslage oder Ablenkung verringern dagegen den Schmerz. Außerdem gibt es schmerzempfindlichere und weniger schmerzempfindliche Menschen. Frauen sind beispielsweise in der Regel weniger schmerzempfindlich als Männer. Schmerz wird individuell ganz unterschiedlich bewertet, er kann als stechend pochend, dumpf oder brennend empfunden werden. Akut oder chronisch - der entscheidende Unterschied
Grundsätzlich wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden. Der akute Schmerz hat eine lebenswichtige Funktion. Er ist, wie bereits erwähnt, Ausdruck von körperschädigenden Einwirkungen und als Alarmsignal zu verstehen. Er tritt zum Beispiel bei Entzündungen oder Verletzungen auf, ist zeitlich begrenzt und kann durch die Behandlung der Ursache meist erfolgreich therapiert werden. Diese positive Alarmfunktion geht dem Schmerz verloren, wenn er chronisch wird. Der chronische Schmerz hat dagegen keine biologische Aufgabe mehr. Im Gegenteil: chronische Schmerzen zermürben die Patienten körperlich und können das ganze Denken und Fühlen vollkommen beherrschen. Sie werden zu einer stärkeren Belastung als die eigentliche Grunderkrankung. Der Schmerz hält beständig an und entwickelt sich mit der Zeit zu einem eigenständigen Krankheitsbild, das individuell behandelt werden muß. Man weiß auch, daß chronischer Schmerz zu Verhaltensänderungen und zu Depression führen kann. Wir sprechen hier vom "algogenen Psychosyndrom"; d.h. psychischen Veränderung, die durch die chronischen Schmerzen hervorgerufen werden.

Neben Kopfschmerzen jeder Art, rheumatischen Krankheitsbildern oder Erkrankungen des Bewegungsapparates finden sich chronische Schmerzen besonders häufig bei Tumorerkrankungen. Etwa 80 Prozent dieser Patienten leiden an starken und stärksten Dauerschmerzen. Dabei ist es wichtig zu wissen, daß Tumorschmerzen unabhängig vom Stadium der zugrundeliegenden Erkrankung auftreten können und keinesfalls immer Zeichen für ein fortgeschrittenes Stadium sind. Je nachdem, welche Strukturen vom Tumor oder seinen Tochtergeschwülsten (Metastasen) befallen sind, unterscheidet man zum Beispiel Knochen-, Nerven- oder Organschmerzen. Aber auch die Krebsbehandlung selbst kann Schmerzen verursachen. Dies gilt für die Operation, aber auch für die Strahlen- und Chemotherapie. Doch die Betroffenen müssen sich nicht in das Schicksal fügen. Bei den heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten könnten bei adäquater Therapie über 90 Prozent der Tumorschmerzpatienten weitgehend ohne Schmerzen leben.